Kine Exakta "Varex"?

Ein paar Gedanken zu einer bislang unbekannten EXAKTA. Leider ist diese ungewöhnliche EXAKTA lediglich als "Papiertiger" erhalten geblieben.

Bei dem hier vorgestellten Zeichnungssatz einer bislang unbekannten Exakta handelt es sich um eine seltsame Sache. Diese Exakta unterscheidet sich in vielen Aspekten von der bekannten Kine Exakta und nimmt die Exakta Varex und die Exakta Varex VX in einigen Konstruktionsdetails um Jahre vorweg. Die Konstruktionszeichnungen sind datiert, beginnend mit dem 18.6.45. Da es wohl mehr als unwahrscheinlich ist, dass es die schwer angeschlagene Restbelegschaft der ausgebombten Ihagee direkt nach Kriegsende geschafft hat, eine, in weiten Aspekten, völlig neue Kamerakonstruktion in kürzester Zeit aus dem Ärmel zu schütteln, muß wohl davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesem Zeichnungssatz um die Rekonstruktion einer früheren Kamerakonstruktion handelt. Handelt es sich bei dieser Kamera um eine Entwicklung, die von Karl Nüchterlein angestoßen, bzw. durchgeführt worden ist? Wenn man bedenkt, welch eine komplexe Aufgabe die Konstruktion solch einer Kamera darstellt, gewinnt diese Theorie immer mehr an Gewicht! Wie Richard Hummel in seinem Buch "Spiegelreflexkameras aus Dresden" schreibt, wurden mit der Zerstörung des Ihagee Werksgebäudes alle schriftlichen und zeichnerischen Unterlagen vernichtet und deshalb wurde ab Mitte Mai mit der Rekonstruktion des Zeichnungssatzes für die Kine Exakta begonnen, der dann Ende 1945 fertiggestellt war. Richard Hummel meint damit in seinem Buch den Zeichnungssatz für die bekannte Nachkriegs-Kine Exakta. Dieser wurde dann ja auch für die erneute Produktion der Kamera benötigt. Er erwähnt aber nicht den hier vorgestellten Zeichnungssatz für die Kine Exakta "Varex", wie ich sie einfach mal nennen will. Warum er das unterlassen hat, können wir heute leider nicht mehr nachvollziehen. Die Zeichnung B100 lag als Blaupause im Museum aus, als Dekoration zur Ausstellung "60 Jahre Kine Exakta". Und der komplette Zeichnungssatz ist im Museum vorhanden. Auch kann man davon ausgehen, dass Richard Hummel um diese Kamerakonstruktion gewußt haben muss. Schliesslich gehörte der Zeichnungssatz zu den Konstruktionsunterlagen der Ihagee und Richard Hummel hatte sich über Jahre hinweg der Erforschung und Sicherung der technischen und geschichtlichen Details der Ihagee gewidmet. Zurück zur Rekonstruktion der Zeichnungssätze. Da ja alle schriftlichen und zeichnerischen Unterlagen vernichtet wurden, kann die Rekonstruktion der Zeichnungssätze (für die Kine Exakta und die Kine Exakta "Varex") nur anhand von noch vorhandenen Kameras, Musterkameras, bzw fertiger Gehäuse, Gehäuseteile und Baugruppen aus der Produktion oder dem Musterbau sein. Das heißt, dass die Kine Exakta "Varex", weit vor 1943 erdacht und zumindest auch als Muster gefertigt worden sein muss; denn laut Hummel hatte ab April 1940 die Rüstungsproduktion Vorrang und bis November 1943 wurden lediglich noch ca. 400 Kameras für Bildberichterstatter hergestellt. Also ist die Kine Exakta "Varex" auch mit ziemlicher Sicherheit von Nüchterlein erdacht und konstruiert worden. Was die Frage aufwirft, was denn dann die Nachkriegs-Ihagee letztendlich, außer der EXA-Reihe und der etwas unglücklichen Exakta 6x6 überhaupt auf die Beine gestellt hat.

 

Was ist nun besonderes an dieser Kamera? Bei der Kine Exakta "Varex" ist der Lichtschacht, nachdem er auf der Frontplatte entriegelt worden ist, abnehmbar. Ob bei dieser Konstruktion bereits an ein einzusetzendes Prisma gedacht worden ist, oder ein anderes spezielles Suchersystem, geht nicht aus den Unterlagen hervor. Ein leichteres Wechseln der Mattlupe gegen eine Speziallupe kann nicht der Grund gewesen sein, da diese durch zwei Gewindestifte unterhalb der Frontplatte gesichert ist.

Die Wechselkonstruktion des Lichtschachtes ist nur eine von vielen Unterschieden der Kine Exakta "Varex" zu den bekannten Konstruktionsmerkmalen der Kine Exakta.

Weitere Unterschiede zur Konstruktion der Kine Exakta sind folgende:

Es gibt sicherlich noch weitere technische Unterschiede, aber die wesentlichen sind hier vorgestellt. Denkbar ist, dass diese Kamerakonstruktion nach 1936 entwickelt wurde und auch wahrscheinlich im Musterbau gebaut worden ist, aber aus finanziellen oder betriebspolitischen Gründen die ursprüngliche Kine Exakta mit nur geringen Modifikationen weitergebaut wurde.

Auch 1945, als die Zeichensätze der Kine Exakta und der Kine Exakta "Varex" rekonstruiert worden sind, fiel die Entscheidung wieder auf die ursprüngliche Kine Exakta. Wahrscheinlich wieder aus finanziellen Gründen, denn es waren noch viele Teile, die durch die Auslagerung während des Kriegs das Bombardement von Dresden überlebt hatten, vorhanden. Auch war es sicherlich einfacher einen Wiederanfang mit einer bekannten und bewährten Konstruktion zu machen.

Aber die Arbeiten an dem Zeichnungssatz der Kine Exakta "Varex" wurden nicht eingestellt, sondern wurden teilweise bis 1947, 1948, vereinzelt sogar bis 1949 nachgearbeitet und geändert. Zum Beispiel die Zeichnung der unteren Grundplatte (8.2.1946), die ja so nie zum Einsatz gekommen ist, wurde am 13.1.1948 zum letzten Mal geändert.

Warum bis heute nichts über die Kine Exakta "Varex"-Konstruktion bekannt geworden ist, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen. Sicherlich ließe sich darüber trefflich spekulieren, das will ich aber jedem einzelnen Interessierten selbst überlassen.

Mit diesem Artikel möchte ich ein kleines und spätes Denkmal für Karl Nüchterlein setzen, der, so meine Meinung, letztendlich auch die Exakta Varex erdacht hat.

An dieser Stelle muß ich auch meinen Freunden Klaus Arnhardt und Rainer Dierchen danken, die mich veranlasst haben, dieses Essay zu schreiben. Danke auch an alle die, die mich bei diesem Vorhaben unterstützt haben.

 

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